Wann immer ich den Podcast unserer amerikanischen Freunde John Gardner und Harry Segal „Shrinking Trump“ sehe, bin ich erschüttert von der überwältigenden Menge an Informationen über die autoritäre Politik in ihrem Land, und beeindruckt von der Unterstützung, die John und Harry uns anbieten.
Wenn ich diese neuesten Nachrichten über Amerika, aber auch über den Rechtsruck in der deutschen Politik höre, habe ich das Gefühl, meinen Platz in der Welt zu verlieren, die ich bisher kannte. – Es ist nicht mehr die Welt, in der ich leben möchte.
Und ich kenne dieses Gefühl bereits aus den Nachrichten über den Heimatverlust für Millionen von Migranten, zur Flucht gezwungen durch Krieg, Klima- und Wirtschaftskrise, die Zerstörung der Natur, das Aussterben so vieler Arten, den Verlust des sozialen Zusammenhalts, den Rechtsruck auf der ganzen Welt – und diese Krisen sind miteinander verbunden. Mit einem Wort: Wir erleben die Metakrise.
Der Verlust des Heimatgefühls
Dies führt uns zur Erfahrung eines Domizids: dem Verlust unseres Gefühls, in der Welt zu Hause zu sein.
Domizid, abgeleitet von domus – was Heimat, Zuhause bedeutet – beschreibt die Zerstörung des Heims oder die Vertreibung aus dem Heimatland – Wir haben kein Heim mehr auf der Welt. „Heimat“ bezieht sich hier metaphorisch auf unseren Platz in der Welt, unsere Weltanschauung und Werte.

Unsere menschliche Natur und unser tiefes Bedürfnis ist es, diese Veränderungen zu verstehen und ihnen eine Bedeutung zu geben: Wir wollen Sinn daraus machen und Sinn finden. Aber wenn die Dinge keinen Sinn mehr ergeben, scheint unsere Welt auseinanderzufallen. Wenn unsere Werte und geschätzten Eigenschaften nicht mehr in diese sich verändernde Welt passen, verlieren wir unsere Fähigkeit, Kohärenz, einen Sinnzusammenhang zu finden. Dinge, die uns wichtig sind, sind in dieser Welt nicht mehr relevant: Wir fühlen uns getrennt, allein.
Wie können wir in all dem ein sinnvolles Leben führen?
John Vervaeke, ein kanadischer Kognitionswissenschaftler und Meditationslehrer, bot ein metaphorisches Bild zum besseren Verständnis des Domizids:
Stellen Sie sich vor, Sie spielen Fußball und wenden all Ihre Fähigkeiten, Ihr Wissen über die Regeln und die besten Bewegungen an, und Sie stellen plötzlich fest, dass keine dieser Fähigkeiten und Bewegungen passen, keinen Sinn ergeben – was würden Sie fühlen? – bevor Sie herausfinden, dass Sie in einer anderen Arena versuchen Fußball zu spielen, nämlich auf einem Tennisplatz, wo völlig andere Regeln gelten.
Dieses Agent-Arena-Bild bezieht sich auf die Kohärenz, die Übereinstimmung zwischen dem Agenten (dem Spieler) und der Arena (Welt) mit ihren Regeln – diese Kohärenz ist notwendig, damit das Ganze Sinn ergibt.
Wir haben in unserer Gesellschaft keine Kultur der Unterstützung und Weisheit für Sinnfindung. Unser Konsumverhalten und unser Übersättigt-Sein ertränkt uns in Sinnlosigkeit.
„Wenn ein Mensch keinen Sinn finden kann, lenkt er sich mit Vergnügen ab“ Viktor Frankl
Wir lenken uns durch Vergnügungen ab …und durch Konsum: wir wollen etwas haben, besitzen, bekommen, kaufen, mehr haben. Wir stecken im Haben-Modus fest. Wir können aber keinen Sinn im Haben-Modus erlangen durch das Konsumieren, wir können Sinn nicht von außen bekommen, als wäre er ein Ding.
Es ist dieses tiefe menschliche Bedürfnis nach Sinnfindung, welches populistische oder faschistische Führer oder Bewegungen für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Wenn wir ihnen Glauben schenken, fühlt sich die Welt sicher an, scheint wieder Sinn zu ergeben – auch wenn wir kein kohärentes Sinnsystem bekommen. Sie bieten eine einfache Erklärung (sie finden einen Schuldigen) und einfache Lösungen für komplexe Probleme – mit Desinformation, fake-news, mit „Bullshit“, wie Harry Frankfurt es nennt.
Und natürlich die Werbeindustrie: Auch sie greift unser Bedürfnis nach Sinnfindung auf. Indem wir all die guten, all die unnötigen Dinge kaufen, kaufen wir vermeintlich Vergnügen, Freundschaften, Abenteuer, was auch immer wir brauchen. Und auch Social-Media: Wir hoffen auf Verbindung, Wert oder Gesehen-Werden – aber fühlen uns dadurch leerer als zuvor. Wir sind leicht verführbar, weil unser eigener Sinnfindungsprozess verstört ist.
Haben oder Sein
Beziehungen, Liebe und Sinnfindung brauchen den Seins-Modus, in dem wir an der Erfahrung teilnehmen, in dem wir verändert, transformiert werden. Eine wichtige Unterscheidung zwischen dem Haben- und dem Seins-Modus kann dabei helfen (siehe auch Erich Fromms Buch: „Haben oder Sein“)
Es braucht weises Bewusstsein und bewusste Einsicht, um diese Modi an der richtigen Stelle anzuwenden. Sinnfindung ist nur im Seinsmodus möglich: indem wir in unserer Seele erfüllter werden. Indem wir mehr von unserem wesentlichen Potenzial verwirklichen und unseren inneren Frieden, unsere wesentliche Güte und Liebe, aber auch unseren Mut in die Welt bringen. Die Fähigkeit, zwischen dem Haben- und dem Seinsmodus zu unterscheiden, ist ein Meta-Tool, mit dem sich in vielen Bereichen des Lebens leichter Sinn finden lässt.

Sinn zu finden ist lebensnotwendig, in vielerlei Hinsicht entscheidend für unser Wohlbefinden: Wir fühlen uns genährt und ausgeglichen, verbunden – und wir erleben Handlungsfähigkeit. Das Gefühl, keinen Sinn im Leben zu haben, macht uns anfällig für Depressionen, Sucht und Suizid – wenn mein Leben in dieser Welt keinen Sinn hat, kann ich genauso gut aufhören zu existieren. Das Gefühl der Trennung von der Natur, von uns selbst, von anderen, von unserer tieferen Natur aus, ist verheerend.
Alles, was uns wirklich wichtig ist, was gut, wahr und schön ist, geht dann für uns verloren. Im Grunde fühlt sich das so schrecklich an, weil wir das Gefühl haben, dass dies nicht die Wirklichkeit ist, dass wir den Bezug zur Realität verloren haben.
Wahrhaftigkeit und Wirklichkeit
John Vervaeke berichtet von einem interessanten Experiment. Er fragte seine Studenten in einer Vorlesung: „Wie viele von Ihnen führen eine erfüllende persönliche Beziehung?“ Ziemlich viele Leute hoben die Hand, und dann sagte ich: „Wie viele von Ihnen würden wissen wollen, dass Ihr Partner Sie betrügt, selbst wenn das die Zerstörung Ihrer Beziehung bedeuten würde?“ Fast jeder hob die Hand. – Wir sind bereit, diese Beziehung zu zerstören, die uns so viel Glück gibt, weil wir nicht wollen, dass sie vorgetäuscht ist. Wir wollen, dass sie echt, real ist“.
Die Wirklichkeit besteht aus einer tiefen Verbundenheit, einer gegenseitigen Vernetztheit von allem und jedem. Gerade in tiefen Krisen und Erschütterungen entwickeln wir tieferen Zugang zu essentiellen Qualitäten, wie all die kreativen und engagierten Projekte und Bewegungen in der Welt gerade jetzt zeigen.
Die Wiederverbindung mit der Natur, mit unseren Werten und letztlich mit unserer wahren, essentiellen Natur bringt uns einer tieferen Realität näher: Wir sind in Kontakt mit Mitgefühl, Güte, unserer Liebe, unserer Friedfertigkeit, unserer Freude und Offenheit und unserer Kraft, die der Fürsorge und der Gemeinschaft dient.
Wir beginnen zu staunen über unsere Fähigkeit, bewusst zu sein und Sinnhaftigkeit zu erleben. Wir haben das Gefühl, dass wir handlungsfähig sind, dass wir etwas bewirken können, indem wir mehr von diesen dringend benötigten Qualitäten in unsere Beziehungen und in die Welt bringen. Und Handlungsfähigkeit ist eine der Zutaten für gelingende Sinnfindung. Diese seelische Bewegung – die am besten in Gemeinschaft mit anderen erlebt wird – ist ein Heilmittel für viele Aspekte der Sinnkrise: Sie führt zu Meta-Meaning. Sie ist ein Meta-Werkzeug, genau wie die Fähigkeit zur Unterscheidung des Haben-Modus vom Sein-Modus. Dann leben wir wieder in einer Welt, die für uns Sinn ergibt, und in der wir Sinn finden.