What´s love got to do with it? – Warum Härte uns nicht schützt
Von allen Gefahren, denen wir ausgesetzt sind, von der Klimakrise bis zum Atomkrieg, ist keine so groß wie die Abstumpfung unserer Antwortfähigkeit.“ Joanna Macy
Angesichts der beispiellosen Umbrüche unserer Zeit fühlen wir uns oft überfordert und irgendwann auch abgestumpft, wenn wir „dichtmachen“, unser Herz verschließen. Mit einem verhärteten Herzen scheinen wir geschützter und fühlen uns sicherer, es ist eine natürliche Reaktion – unser Überlebensinstinkt. Dadurch sind wir aber auch deutlich weniger lebendig.
Und stimmt es überhaupt, dass wir sicherer sind, wenn wir hart werden und uns verschliessen? Brauchen wir nicht mehr Herzqualitäten, um einfühlsam und angemessen zu reagieren?
Schmerz und die zugrundeliegende Liebe
Mit einem verschlossenen Herzen verlieren wir den Kontakt zu den wichtigsten Menschen, Lebewesen und Lebensbedingungen, die wir lieben. Dabei ist es doch eigentlich die Liebe, die unserem Schmerz und der Trauer, die wir erleben, zugrunde liegt: Gerade weil wir einen Partner lieben, ist es schmerzhaft, wenn wir uns von ihm verletzt fühlen. Gerade weil wir unser Kind lieben, ist es furchtbar, wenn es ernsthaft krank wird. Gerade weil wir die Natur lieben, weil wir mit allen Lebensformen, der Erde und all den Wundern des Universums verbunden sind – gerade deshalb trauern wir, wenn Natur und Lebewesen zerstört werden.
Ist es also möglich, durch den Schmerz hindurch wieder die Liebe zu spüren, die ihm zugrunde liegt?
In Verbindung mit unserem liebevollen Herzen zu bleiben, kann unsere Erfahrung der Krisen grundlegend verändern. Liebe und ein offenes Herz besitzen die wunderbare Fähigkeit, uns mit Dankbarkeit, Ehrfurcht, Neugier, Güte und Mitgefühl für uns selbst und andere zu verbinden. Und diese Eigenschaften brauchen wir in schwierigen Zeiten am meisten – sie machen unser Leben selbst unter schwierigen Umständen lebenswert.
Mitgefühl mit sich und mit anderen
Eine wissenschaftliche Studie von Paul Gilbert et al. (veröffentlicht von der British Psychological Society) zeigt, dass die Unterstützung von Menschen bei der Entwicklung ihres Mitgefühls für sich selbst und für andere einen starken Einfluss auf ihre Affekte hat – negative Gefühle werden insgesamt geringer, positive Gefühle gefördert.
Menschen, die stark zu Selbstkritik tendieren oder depressiven Phasen erleben, haben meist Schwierigkeiten, einen Zugang zu Selbstmitgefühl zu finden und Mitgefühl von anderen zuzulassen. Wenn es jedoch gelingt, das Mitgefühl für sich und andere zu stärken, kann dies bedrohungsbasierte Emotionen regulieren. Ist es nicht genau das, was wir angesichts der Metakrise am meisten brauchen, diese Fähigkeit, bedrohungsbasierte Emotionen zu regulieren?
Angst und der Wunsch nach Sicherheit
Doch gerade in Krisenzeiten versuchen wir, das Leben und die Natur „wieder in den Griff zu kriegen“ – wir versuchen, menschengemachte Probleme durch zunehmende Kontrolle und Manipulation zu bewältigen. Ökologische Krisen sollen durch immer weitere Eingriffe in die Natur gelöst werden, politische und gesellschaftliche Krisen durch immer mehr Machtausübung der Regierenden und Ausgrenzung und Spaltung in der Bevölkerung.
Mattias Desmet ist Professor für Klinische Psychologie an der Universität Gent und gilt als Experte für das Phänomen der Massenbildung. In seinem Buch „Die Psychologie des Totalitarismus“ beschreibt er, wie unsere Haltung, das Leben und unsere Welt kontrollieren zu wollen, die Zunahme von Totalitarismus bedingt
Wenn Menschen sich immer einsamer fühlen, soziale Bindungen und Sinn im Leben fehlen, erleben sie mehr Unzufriedenheit und Ängste. Das führt wiederum zu Frustration und Aggression. Desmet beschreibt, wie diese Dynamiken unter anderem in der COVID-Pandemie zugenommen haben – und natürlich weiter wirken. Dies führt auch dazu, dass totalitäre Bewegungen, die vermeintlich mehr Sicherheit und Orientierung anbieten, stärker werden.
Zum Mangel an Sinnhaftigkeit führen auch sogenannte „Bullshit“-Jobs, die keinen Sinn bieten und nicht wirklich zum gesellschaftlichen Wohl beitragen. Der Begriff wurde von David Graeber in seinem Buch „Bullshit Jobs – Vom wahren Sinn der Arbeit“ geprägt: „Ein Bullshit-Job ist eine Beschäftigung, die so völlig sinnlos, unnötig oder schädlich ist, dass selbst der Arbeitnehmer ihre Existenz nicht rechtfertigen kann. Es geht also gerade nicht um Jobs, die niemand machen will, sondern um solche, die eigentlich niemand braucht.“ Dies ein Symptom unserer gesellschaftlicher Wertvorstellungen – wir halten es für akzeptabler, eine sinnlose Erwerbsarbeit zu verrichten, als keinen Job zu haben.
Unsere Arbeit sollte der Gesellschaft und den Mitmenschen dienen. Wenn Menschen Care-Arbeit leisten, erleben sie diese Arbeit als sinnhaft und befriedigend. Absurderweise wird jedoch gerade diese Arbeit weniger gut bezahlt und gilt als weniger respektabel als die sogenannten „Bullshit-Jobs“. Dabei haben wir gerade in der Pandemie gesehen, welche Arbeiten und Aufgaben für unsere Gesundheit, unseren Zusammenhalt und unser Funktionieren als Gesellschaft besonders wichtig sind.
Sinn und Verbundenheit statt Kontrolle
Wie finden wir wieder in eine Sinnhaftigkeit und Verbundenheit? Was leitet uns, wenn nicht unsere Kontrolle – wem oder was können wir dann vertrauen?
Wir könnten uns daran erinnern, dass das Leben nicht in unseren Händen liegt. Dass wir überhaupt existieren, dass unser Organismus harmonisch und unglaublich komplex funktioniert – all das, was das Leben uns bietet: das alles kontrollieren nicht wir.
Wenn wir unser Leben betrachten: Was war und ist darin wesentlich und wertvoll, lebenswert? Und: Haben wir das „gemacht“ – oder ist es uns geschehen? Sich zu verlieben und vertraute Menschen zu lieben, Freude empfinden zu können, von der Natur überwältigt oder von einem Kind tief berührt zu werden: Das ist nichts was wir „machen“. Es ist etwas, das wir erleben. Und es ist auch Gnade.
Noch einmal Joanna Macy: „In diesem wunderschönen, sich selbst organisierenden Universum am Leben zu sein – am Tanz des Lebens teilzunehmen, mit Sinnen, die wahrnehmen, Lungen, die atmen, Organen, die daraus Nahrung beziehen – ist ein unbeschreibliches Wunder.“