Lügen, Bullshit und Wahrheit

In unserer dritten Folge sprechen wir über eine der größten Gefahrenen für die Sinn-Findung innerhalb einer lebendigen Gesellschaft : Desinformation, Bullshit (nach Harry Frankfurt´s Essay: „On Bullshit“) und Propaganda.

Es ist immer wieder schockierend, wie und warum Menschen glauben, was Trump oder rechtsextreme Politiker in Deutschland, oder einige selbsternannte Experten behaupten – wenn es offensichtlich ist, dass es sich hierbei ganz klar um Lügen handelt. Und es ist schockierend, wenn es rassistische oder frauenfeindliche Lügen sind, die propagiert werden.

Zentral für den Erfolg des Trumpismus ist, wie Lügen erfunden, verbreitet, verkauft und von so vielen Menschen „gekauft“ wurden. Falschinformationen werden als Markenzeichen der Geschichte des Trumpismus in Erinnerung bleiben, einer Bewegung, eines Regimes und einer Ideologie, die den Populismus extrem nahe an den Faschismus gebracht haben.

Das erinnert uns an die Inszenierung und Propaganda während der Nazizeit, die Sebastian Haffner, der deutsche Journalist der Nazizeit, brillant und schmerzhaft genau beschrieben hat – siehe unseren Artikel hier.

In unserem Podcast sprechen wir über Lügen und Bullshit – was der Unterschied zwischen ihnen ist, und wir sprechen darüber, wie die schiere Menge von beiden, wie die Überflutung mit fake-news als Waffe eingesetzt wird. Und wie man damit umgeht.

Ein Schritt könnte sein – sich der eigenen Reaktion darauf bewusst zu sein. Als Trump zum Beispiel sagte “they´re eating the dogs and cats” – ging es nicht darum, ob das wahr ist oder nicht. Es war äußerst einprägsam – wir werden weiter unten auf diese Einprägsamkeit, „salience“ eingehen. Es blieb also im Gedächtnis haften wie ein Ohrwurm und sollte eine emotionale Reaktion hervorrufen. Was es perfekt tat. Und als diese Lüge konfrontiert wurde – niemand isst Hunde und Katzen –, da sagten manchen Trump-Anhänger – na ja, was ist mit den Gänsen? Vielleicht essen sie ja Gänse?

Ein anderes Beispiel ist die AfD. Eines der ersten Dinge, die sie nach der Wahl im Februar 2025 sagten: „Wir werden die anderen Parteien jagen“. Das war unmittelbar nach den Wahlergebnissen das Wichtigste? Anstatt daran zu arbeiten, das Beste für die Menschen in Deutschland zu erreichen? Wir gewöhnen uns an diese Sätze und machen uns oft nicht mehr bewusst, was da eigentlich gesagt wird. Als ob es in der Politik darum ginge, andere (Menschen, Politiker) zu jagen.

Es geht also nicht darum, ob die Behauptungen wahr oder falsch sind. Es ist Nonsense. Wenn wir diesen Aspekt genauer betrachten – dass diese Lügen so offensichtlich sind, es sind eklatante Lügen – dann kommen wir zu einer interessanten Erkenntnis: Je offensichtlicher die Lüge ist, desto besser zeigt sie, ob jemand loyal ist.

Loyalität

Nehmen wir zum Beispiel die große Lüge der gestohlenen US-Wahl 2020. Jeder, der unter Trump seine Position erhalten oder verbessern wollte, musste diese Lüge übernehmen. Wer der Öffentlichkeit zeigt, dass er oder sie eine offensichtliche Lüge unterstützt, lautet die implizite Botschaft: Loyalität ist wichtiger als die Realität. Wahrheit ist eine Frage der Macht und des Verhandelns. Eine offensichtliche Lüge in der Öffentlichkeit zu wiederholen, ist die ultimative Form der Unterwerfung.

Es war und ist fast schmerzhaft mit anzusehen, wie sich die Republikaner Trump unterwerfen. Wie sie um jeden Preis versuchten, diesen illoyalen Satz nicht zu sagen: „Ja, Trump hat die Wahl 2020 verloren.“ Stattdessen sagten sie: „Nun, Biden ist der jetzt amtierende Präsident“, und wiederholten diesen Satz immer und immer wieder, um die Lüge von der gestohlenen Wahl, der sie sich unterwerfen mussten, nicht zu wiederholen.

Der Faschismusforscher Federico Finchelstein, ein amerikanischer Geschichtsprofessor, spricht in einem Interview über faschistische Lügen: „Einer der Gründe, warum die Lügen so erfolgreich sind, ist, dass diese ungeheuerlichen Ideen zu einer Glaubensfrage werden“, sie werden zu einer Ideologie mit ihrer eigenen „Wahrheit“. Für Faschisten waren ‚Lügen‘ also weniger Leugnungen der Wahrheit als vielmehr die Ablehnung der ‚realen Welt‘ zugunsten einer idealisierten, die ihren Vorstellungen davon entsprach, was sein sollte. Sie waren Glaubensbekundungen an eine scheinbar tiefere ‚Wahrheit‘. Man könnte also sagen, dass das Bedürfnis dazuzugehören, die Loyalität gegenüber einem autoritären Führer, vielleicht auch das Bedürfnis Orientierung – dass das alles wichtiger ist als die Liebe zur Wahrheit oder zu anderen Werten.

Vielleicht haben wir alle die Erfahrung von „Domizid“ gemacht, also den Verlust des Gefühls in der Welt zuhause zu sein. Wir alle haben das Bedürfnis nach Sicherheit für uns selbst und unsere Lieben, wir suchen nach Orientierung und auch nach Sinn – aber wir gehen unterschiedlich damit um. Und es gibt einen Teufelskreis: Autoritäre Führer schaffen zuerst Unsicherheit (wie etwa, indem sie behaupten, dass unsere Wirtschaft zusammenbricht…) und verstärken dann Überzeugungen und Ideologien, die eine Art vermeintliche Sicherheit bieten.

Das Heimtückische an Desinformation ist, dass sie Vertrauen zerstören kann. Sie schürt Unsicherheit, indem sie den Eindruck erweckt, dass überall Lügen verbreitet werden und man sich nicht mehr sicher sein kann, was man glauben soll – so wird das Bedürfnis nach Führung stärker – und bei manchen Menschen verstärkt dies ihre Bindung an die Führer.

Dadurch dass wir in einem emotionalen Zustand gehalten werden, in dem wir von bewusster Reflexion abgekoppelt sind, werden wir leicht manipuliert. Unser limbisches System wird „gekapert“, oft zum Nachteil von höherwertigen Funktionen wie kognitiven Urteilen, der Bewertung aus mehreren Perspektiven und kritischen Analysen, die in anderen Teilen des Gehirns stattfinden. Oder, um es einfach auszudrücken: Wir können nicht offen oder neugierig sein, wenn wir voller Angst oder Ärger sind. Es ist einfach nicht möglich.

Also wollen wir hier neugierig sein – lassen Sie uns später über Salienz (Eingängigkeit und Einprägsamkeit), Relevanz und Bullshit und die Zusammenhänge sprechen.

Über Bullshit

Harry Frankfurt war Philosoph an der Princeton University und der Yale University. In seinem berühmten Essay „On bullshit“ (2005) spricht er über den Unterschied zwischen Bullshit und Lügen und wie beide zusammenhängen.

„Eines der hervorstechendsten Merkmale unserer Kultur ist, dass es einfach so viel Bullshit gibt. Jeder weiß das. Jeder von uns trägt seinen Teil dazu bei. Aber wir neigen dazu, die Situation als selbstverständlich hinzunehmen.“ Harry G. Frankfurt

H. Frankfurt betont, dass Bullshit nicht mit einer Lüge verwechselt werden soll. Die beiden unterscheiden sich in einem äußerst wichtigen Punkt – nämlich in ihrer Beziehung zur Wahrheit. Zwischen Lügen und Bullshit besteht ein wesentlicher Unterschied: „Lügen werden erzählt, um Zuhörer über die Wahrheit zu täuschen. Bullshit kümmert sich überhaupt nicht um die Realität.“

Eine Lüge und eine Wahrheit haben etwas sehr Bedeutsames gemeinsam: Sie legen Wert auf die Realität. Der Lügner und derjenige, der die Wahrheit sagt, haben eine gemeinsame Wertschätzung für die Wahrheit. Der Lügner muss die Wahrheit kennen, um sie zu erkennen, und muss sie als folgerichtig empfinden, um sie sabotieren zu wollen. Eine Lüge wird erzählt, um die Wahrheit absichtlich zu widerlegen. Sie setzt die Bedeutung der Wahrheit voraus, sie dann untergraben wird. Wir könnten also sagen, dass eine Lüge in Bezug auf die Wahrheit erzählt wird. Die Bedeutung der Wahrheit ist auch für den Lügner wesentlich.

Bullshit wird so definiert, weil er sich nicht im Geringsten mit Wirklichkeit und Wahrheit beschäftigt. Bullshit kann wahr oder unwahr sein. So oder so, das kümmert den Bullshit nicht. Er hat keine Verpflichtung gegenüber der Wahrheit, im Guten wie im Schlechten.

Selbsttäuschung

Frankfurts theoretische Erklärung von Bullshit ist hilfreicher als die Vorstellung der Lüge, wenn es um Selbsttäuschung geht. Menschen können sich selbst nicht belügen. Wir können nicht einerseits eine Tatsache kennen und uns selbst dann sagen: Nein, das stimmt nicht. Wir können nicht wissen, dass wir 1.000 Euro auf dem Bankkonto haben und dann glauben, dass wir 100.000 Euro haben. Selbst wenn wir es wollten, können wir unsere Wahrnehmung der Wahrheit nicht bewusst umkehren. „Sich-selbst-Belügen“ ist also ein unzureichendes, wenig hilfreiches Modell zur Erklärung von Selbsttäuschung.

Bei Bullshit geht es nicht darum, Dinge real und wahr zu machen, sondern darum, Dinge auffällig zu gestalten. Der Bullshitter will die Aufmerksamkeit nicht auf Wahrheit oder Unwahrheit lenken, sondern auf die Eingängigkeit (salience) einer Idee.

John Vervaeke, der kanadische Kognitionswissenschaftler, betonte diese Differenzierung ebenfalls:„In einer schnelllebigen Kultur, die vom Erfolgszwang getrieben und vom Konsumismus beherrscht wird, ist der Sinn des Lebens in der heutigen westlichen Welt auf ein endloses Streben nach dauerhaftem „Glück“ reduziert worden – durch Konsumieren – und, wie ich hinzufügen möchte, durch das, was eingängig ist. Ein Werbespot zeigt uns ein neues Auto und verbindet es mit Abenteuer – oder einer schönen Frau – oder mit Sicherheit für die gesamte Familie, je nach Automarke. Solche Werbung kümmert sich nicht um die Realität, es geht lediglich darum, was am Eingängisten ist.

Wir können uns selbst etwas vormachen, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte eingängige Dinge statt auf Wesentliches richten. Sie fallen uns schneller ein … und wir sind darauf konditioniert, ihnen automatisch den Vorzug zu geben. Wir können uns darauf konditionieren, eine Idee beizubehalten, egal wie integer sie eigentlich ist. Unsere Fokus auf Eingängiges kann auf Kosten unseres Orientierung an der Wahrheit gehen. Damit beginnt ein Kreis der Selbsttäuschung.

„Ich habe noch nie eine Lebensveränderung erlebt, die nicht damit begann, dass die betreffende Person einfach genug von ihrem eigenen Bullshit hatte.“ — Elizabeth Gilbert

Wir müssen also Weisheit kultivieren, das heißt, in der Lage sein, unsere Überzeugungen und Ideologien über uns selbst und die Welt in Frage zu stellen, um unsere Fehler eingestehen zu können, wenn wir getäuscht wurden oder uns selbst betrogen haben.

Mit anderen Worten, wir finden unsere tiefe Liebe zur Wahrheit. Das erfordert die Fähigkeit, Frustration zu ertragen, das eigene Selbstbild und die Voreingenommenheit anderen gegenüber in Frage zu stellen. Und wir müssen in der Lage sein, dem, was wir hören und sehen, einen Sinn zu geben – es ist ein tiefes Bedürfnis und eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Für Wilfred Bion, einen britischen Psychotherapeuten, ist „Wahrheit wesentlich für die psychische Gesundheit, und der Mangel an Wahrheit hat dieselbe Wirkung auf die Persönlichkeit wie der körperliche Hunger auf den Körper.“

Eingängigkeit versus Relevanz

Ein wichtiger Schritt zu mehr Weisheit ist, zu lernen, zwischen Auffälligkeit (oder Eingängigkeit) und Relevanz zu unterscheiden: Eingängigkeit, engl.: Salience, bezeichnet auffällige oder emotional fesselnde Aspekte, während und Relevanz eher Angemessenheit und Bedeutsamkeit meint – diese Unterscheidung ist entscheidend, um die Wahrheit zu finden.

„Eingängigkeit zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich – und Relevanz ist das, was wirklich wichtig ist.“ Diese beiden Aspekte aufeinander abzustimmen und zu unterscheiden ist entscheidend, insbesondere in dieser modernen, auf Aufmerksamkeit ausgerichteten Wirtschaft, in der es überall „Salience“-Signale gibt, die für eine gesunde Lebensweise irrelevant sind.

Wir müssen uns selbst ermutigen, über unsere Werte nachzudenken und uns darüber im Klaren zu sein, was unserer Meinung nach relevant sein sollte. Wir sollten Lebenspraktiken entwickeln, die auffällige, eingängige, aber irrelevante oder sogar schadende Ablenkungen minimieren – und daran arbeiten, das, was wirklich relevant ist, in unseren Fokus zu bringen. Diese Fähigkeit ist einer der Schlüssel zu einem weisen Leben in unserer modernen Welt.

Wahrheit bezieht sich auf eine gemeinsame Realität. Wenn sich etwas „echt“ anfühlt, gibt uns das ein Gefühl der Verbundenheit, eine Art und Weise, in der die gefühlte Erfahrung mit Mustern oder Ereignissen in der Welt in Beziehung steht. Zur Wahrheit gehören zwei. Dies bezieht sich auf partizipatorisches und perspektivisches Wissen: ein viel tieferes Erkennen der Wahrheit.

Perspektivisches Wissen (sich etwas in seiner Bedeutung, seinem Umfang, seiner Auswirkung und den sich ändernden Perspektiven meiner Wahrnehmung bewusst zu sein) befasst sich damit, zu verstehen, wie es ist, jemand anderes zu sein – beispielsweise wie es wirklich ist, ein Flüchtling zu sein. Oder ein Gemeinderat, der wiedergewählt werden möchte. Wie es ist, in der Haut dieses Menschen zu stecken.

Partizipatorisches Wissen (Teilhabendes Wissen über tiefere Weisheit) beinhaltet die Verbundenheit zwischen dem Organismus und der Umwelt, mit anderen. Wir sind nicht passive (scheinbar „objektive“) Beobachter, die nur wahre Überzeugungen bilden oder nur subjektiv sehen – wir sind in unsere Beobachtungen involviert. Der Kontakt mit der Realität hängt dann davon ab, dass wir durch unser Wissen verwandelt werden. Wir erfahren Liebe, indem wir sie erleben und durch die Erfahrung verwandelt werden – Und während wir uns verwandlen, offenbart die Welt mehr von sich. Wir wissen zum Beispiel nicht, wie es ist, Eltern zu sein, bis wir selbst Eltern sind. Und dann sind wir jemand anderes geworden …

Ein Beispiel für partizipatorisches und perspektivisches Wissen, das Josef im Podcast geteilt hat: „Neulich habe ich mit einem Kollegen über den Ukrainekrieg gesprochen. Wir hatten beide unsere eigenen Vorstellungen, wie dieser Krieg enden sollte. Doch je mehr wir Gedanken, Überzeugungen und Ideen austauschten, desto mehr wurde uns klar, dass wir den Argumenten des anderen nicht wirklich zuhörten oder uns nicht wirklich dafür interessierten. Unsere ideologischen Gräben vertieften sich, wir waren nicht mehr erreichbar. Erst als wir Fragen stellten wie: „Was beunruhigt dich am meisten an diesem Krieg?“ oder „Wie kommt es, dass wir einander nicht mehr zuhören?“, begannen wir, einander tiefere Wahrheiten zu offenbaren. Und wir erkannten, dass wir beide eine tiefe Sehnsucht nach Frieden hatten – nur mit unterschiedlichen Vorstellungen darüber, wie wir dorthin gelangen könnten: beide waren gültig. Wir fühlten uns durch die gegenseitige Berührung verändert.“

Um das eigene perspektivische als auch das partizipatorische Wissen zu vertiefen, haben wir in unserer dritten Podcast-Folge die Metta-Meditation vorgeschlagen. Die Metta-Meditation ist eine der ältesten und auch heute noch wichtigsten Meditationsformen im Buddhismus. Diese Meditation öffnet uns für perspektivisches und partizipatorisches Wissen und gibt uns so Zugang zu einem Gespür dafür, was andere fühlen und erleben.

Metta-Meditation

Die Metta-Meditation basiert auf der Idee, dass jedes fühlende Wesen, also jedes Lebewesen auf der Erde und im Universum, mit Güte und Freundlichkeit behandelt werden sollte. Es meint das Praktizieren einer wohlwollenden Haltung. Das braucht anfangs womöglich etwas Übung, aber diese Meditations-Technik ist vergleichsweise leicht zu erlernen.

Es gibt viele Anleitungen online, daher schlagen wir hier keine spezielle vor, sondern möchten nur ermutigen, herauszufinden, was hilfreich sein könnte. Im podcast findet Ihr mehr dazu (ab Min 45)